Schweiz: Wie schätzen Sie die Gefahren für Mensch und Umwelt ein?

24.02.2024, Sandra Gloor
Eine grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung schätzt den Verlust der Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten als die grösste Gefahr für Mensch und Umwelt ein, wie das Bundesamt für Statistik kürzlich mitteilte. Demgegenüber beurteilen 86% der Bevölkerung die Umweltqualität in der Schweiz als sehr gut oder eher gut - was im markanten Gegensatz zu den wissenschaftlich erhobenen Daten zum Zustand der Biodiversität in der Schweiz steht.

2023 werden Biodiversitätsverlust, Klimawandel und Wasserknappheit als grösste Gefahren gesehen, mit jeweils 49%, 48% bzw. 47% der Bevölkerung, die diese als sehr gefährlich für Mensch und Umwelt einschätzen (BFS 2024a). Demgegenüber beurteilen 89% der Bevölkerung die Umweltqualität in der Wohnumgebung als sehr gut oder eher gut. Bezüglich der Umweltqualität in der Schweiz sind 86% dieser Meinung (BFS 2024b). 

Eine durchschnittliche Landschaft in der Schweiz könnte wie die Umgebung von Landquart aussehen (im Bild oben). Die monotone Landschaft ist grün und die Berge schön, aber für die die "wilde" Natur gibt es nur eine kleine Ecke (das kleine Riedgebiet links im Bild), ohne Zusammenhang und Anbindung an andere naturnahe, artenreiche Gebiete, keine Hecke, keine Bäume, kein naturnaher Bachlauf. Der Biodiversitätsverlust in den letzten 50 Jahren wäre hier, würde er gemessen, immens. 

Quelle: BFS - Omnibuserhebungen 2011, 2015, 2019, 2023
Zustand der Biodiversität in der Schweiz ist besorgniserregend

Der Zustand der Biodiversität in der Schweiz ist unbefriedigend, wie das BAFU in einem detaillierten Bericht 2023 darlegte (BAFU 2023). Die Hälfte der Lebensräume und ein Drittel der Arten sind bedroht. Mit dem Rückgang der Artenvielfalt geht auch die genetische Vielfalt verloren. Die Verluste halten auf allen Ebenen der Biodiversität an. 

Biodiversitätskrise: Dringlichkeit in der Bevölkerung verkannt

Zwei im Jahr 2022 durchgeführte Umfragen der beiden Organisationen Stiftung Pusch und BirdLife Schweiz zeigen, dass das Problembewusstsein für die Bedrohung durch den markanten Rückgang der Biodiversität in der breiten Bevölkerung noch nicht angekommen ist. Daraus lässt sich schliessen, dass der dringende Handlungsbedarf in der Gesellschaft verkannt wird und die Förderung der Biodiversität nicht die nötige Priorität erhält (PUSCH und Birdlife 2023).

Verlust an Erfahrung mit vielfältigen Lebensräumen

Wie kommt es dazu, dass die Bevölkerung die Umweltqualität in der Schweiz so anders einschätzt als wissenschaftliche Studien? Ist es der Verlust an Erfahrung mit vielfältigen Lebensräumen, welche zuletzt von den Biologen Gaston und Soga in einer vielbeachteten Publikation der Zeitschrift People & Nature der British Ecological Society beschrieben wurde (Extinction of Experience, Gaston & Soga 2020)?

Gaston und Soga schreiben, dass das Aussterben von Erfahrungen, also der fortschreitende Verlust von Interaktionen zwischen Mensch und Natur, sich als einer der wichtigsten Umweltfaktoren unserer Zeit erweisen könnte. Dieser Verlust schmälert nicht nur den wichtigen Nutzen, den die Menschen aus diesen Interaktionen ziehen, sondern kann auch ihre Unterstützung für Förder- und Schutzbemühungen und Managementmassnahmen zugunsten der biologischen Vielfalt untergraben und somit eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Zukunft der biologischen Vielfalt spielen.

Unterstützung der Biodiversitätsinitiative in der Schweiz

Am 22. September 2024 findet in der Schweiz die Volksabstimmung zur Biodiversitätsinitiative statt. Zwei wichtige Anliegen der Initiative sind, dass es in der Schweiz mehr finanzielle Mittel und mehr geschützte Flächen gibt, um den Verlust der Biodiversität auf allen Ebenen zu stoppen und den Trend sogar umzukehren. 

Es wird schwierig werden, eine Mehrheit der Bevölkerung von der aus Naturschutzsicht immens wichtigen Initiative zu überzeugen, wenn 86% der Bevölkerung die Umweltqualität in der Schweiz als sehr gut oder eher gut beurteilen. Es wird deshalb entscheidend sein, in den kommenden Monaten mit vielen konkreten Beispielen aufzuzeigen, wie weit die Biodiversität in der Schweiz in den letzten 40 Jahren zurückgegangen ist, was dies für Mensch und Natur bedeutet und wie wir den Verlusten entgegen wirken können. 

Eine historische englische Rasenfläche wandelt ihr Gesicht

Ein spektakuläres Beispiel ist die Verwandlung der Rasenfläche vor dem King's College der University of Cambridge in Grossbritannien in eine blühende Blumenwiese. Die Rasenfläche war 1772 angelegt und seither intensiv gepflegt und gemäht worden. Im Jahr 2020 wurde ein Teil des Rasens des King's College in der Größe eines halben Fußballfeldes in eine Blumenwiese umgewandelt. Wissenschaftliche Untersuchungen begleiteten den Wandel und zeigen den Gewinn für die Biodiversität, die Hitzeminderung und die Lebensqualität der Menschen. 

Weitere Informationen und eindrückliche Bilder des Wandels auf der Webseite der University of Cambridge.

 

Rasenfläche vor dem King's College in Cambridge / UK